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Wir hofften auf bessere Zeiten

Erschienen am 26.02.2020
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783963621208
Sprache: Deutsch
Umfang: 416 S.
Format (T/L/B): 4 x 22 x 14.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Es ist eine seltsame Bitte, mit der ein alter Mann an die Reporterin Elizabeth Balsam herantritt: Sie soll einer Verwandten, von der sie noch nie gehört hat, eine alte Kamera und eine Schachtel Fotos überbringen. Elizabeth ist wenig begeistert. Doch dann wird ihr überraschend gekündigt und sie hat plötzlich jede Menge Zeit. Im 150 Jahre alten Farmhaus ihrer Großtante Nora stößt Elizabeth auf eine Reihe rätselhafter Gegenstände. Welche dunklen Geheimnisse verbergen sich im Leben von Mary Balsam, ihrer Vorfahrin, die während des amerikanischen Bürgerkriegs allein auf dieser Farm zurechtkommen musste? Und warum will Nora ihr nichts über sich selbst und ihre mutige Entscheidung, in den 1960ern einen Schwarzen zu heiraten, erzählen? Je tiefer Elizabeth gräbt, desto bewusster wird ihr, welch ein Schatz in ihrer Familiengeschichte lauert - und dass die Entscheidungen ihrer Vorfahrinnen bis heute Auswirkungen haben ...

Leseprobe

Kapitel 1 Detroit, Juli Im Lafayette Coney Island war es am späten Vormittag ausgesprochen ungemütlich. Wahrscheinlich war es hier auch sonst niemals gemütlich. Das traditionsreiche Fast-Food-Restaurant war klein, schmuddelig und überfüllt. Einen Stuhl freizuhalten, wie ich es in der Stoßzeit versuchte, wurde nicht gern gesehen. Ich war dankbar, als um Punkt zwölf Uhr, wie verabredet, ein älterer schwarzer Mann in einem ausgebeulten Trikot der Detroit Lions durch die Tür schlurfte. Über seiner hängenden Schulter trug er eine fleckige Ledertasche. 'Mr Rich?', überschrie ich den hohen Geräuschpegel. Er rutschte auf den freien Stuhl mir gegenüber. Um diesen Stuhl hatte ich schwer gekämpft. Hoffentlich würde ich für diese Mühe belohnt. 'Woher wussten Sie, dass ich es bin?', fragte er. 'Sie hatten gesagt, dass Sie ein Lions-Trikot tragen würden.' 'Ach ja. Das hatte ich, nicht wahr? Mein Sohn hat es mir geschenkt.' 'Können wir bestellen? Ich habe nur zwanzig Minuten Zeit.' Mr Rich drehte den Kopf zur Tür. 'Ich hatte gehofft, dass. Ah, da ist er ja!' Die Tür ging auf und ein großer, athletisch gebauter Mann im eleganten Anzug und mit kurzen, schwarzen Dreadlocks trat ein. Er kam mir vage bekannt vor. 'Denny! Wir wollen gerade bestellen.' Mr Rich legte die Ledertasche auf seinen Schoß und rutschte auf seinem Stuhl zur Seite, um dem Neuankömmling Platz zu machen. Der Mann setzte sich auf die zwanzig Zentimeter Stuhl, die Mr Rich ihm freigeräumt hatte, ragte aber größtenteils in den ohnehin schon engen Gang. 'Das ist mein Sohn Linden.' Jetzt fiel bei mir der Groschen. Mein Blick flog zu den vielen Fotos von berühmten Persönlichkeiten hinüber, die im Laufe der Jahre hier gegessen hatten. Dort an der Wand hing er. Zwischen Eminem und Drew Barrymore thronte er über den lächelnden Mitarbeitern. Ich richtete mich ein wenig höher auf. 'Der Linden Rich, der für die Lions spielt?' 'Ja', antwortete er. 'Und Sie sind.?' 'Das ist Elizabeth Balsam', antwortete Mr Rich an meiner Stelle, 'die Journalistin, die die Skandalgeschichten in der Free Press über Korruption und Land Grabbing und die zehntausend - oder waren es elftausend? - nicht ausgewerteten Vergewaltigungsindizien, die vor einer Weile gefunden wurden, geschrieben hat. Sie hat auch über den Kilpatrick-Prozess berichtet.' Ich setzte das dezente Lächeln auf, das ich seit meinem Studium jeden Morgen vor dem Spiegel einübe, weil ich hoffe, dass es mich gleichermaßen aufgeschlossen wie intelligent erscheinen lässt. 'Ach ja. Okay.' Linden nickte. 'Ich sehe die Ähnlichkeit. In den Augen.' 'Das habe ich dir doch gesagt', erwiderte Mr Rich. 'Ja, das hast du.' 'Entschuldigung', mischte ich mich ein, 'welche Ähnlichkeit?' In diesem Moment kam ein Kellner in einem schmutzigen weißen T-Shirt, der zehn Teller auf einem Arm balancierte, an unseren Tisch und rief überschwänglich: 'Hallo, Denny! Was darf ich euch bringen?' Wir bestellten unsere Coney Dogs - für mich ganz klassisch mit Soße und Zwiebeln, für Linden mit allem, was sie in der Küche hatten, und für Mr Rich nur mit Soße. Er erklärte: 'Ich vertrage keine Zwiebeln mehr.' 'Und ich brauche Besteck', ergänzte ich mit Nachdruck. Während der Kellner dem alten Mann am Grill unsere Hotdog-Bestellung zurief, wandte sich Linden an seinen Vater: 'Du gibst ihr diese Kamera nicht.' 'Du hast nur von den Fotos gesprochen. Du hast gesagt, dass ich die Fotos vorerst behalten soll', sagte Mr Rich. 'Warum soll ich ihr die Kamera nicht geben? Sie gehört dir nicht, Denny.' 'Ihr gehört sie auch nicht.' 'Nein, aber sie kann sie Nora geben.' Linden atmete tief ein und blickte beiseite. Jedem anderen wäre es wahrscheinlich peinlich gewesen, wenn in seinem Beisein über ihn gesprochen wurde, als wäre er nicht da, aber in mir hatten die Jahre im unbarmherzigen Journalismusgeschäft diese absolut natürliche Reaktion fast abgetötet. Ungebeten schaltete ich mich in das Gespräch ein und begann, meine Fragen zu stellen. 'Am Telefon sagten

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